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Der Führerschein

Es war im Winter 1987. Meine Frau Angela die Griechin und ich hatten uns entschlossen das Land der Helenen zu verlassen und nach Deutschland zu ziehen.

Eines nachts erwachte ich schweißgebadet mit einem schrecklichen Gedanken... Ralf, denke ich, Du hast keinen Führerschein! Jahrelang hatte mich dieser Umstand nicht interessiert. Ich fuhr auf unserem Motorrad durch das Land, keiner hat je ernsthaft darauf bestanden das Dokument zu sehen, auch bei Verkehrskontrollen interessierte man sich mehr dafür warum ich über perfekte Griechischkenntnisse verfüge, meinen Reisepass und die Zulassung des Motorrades. Mit dem Argument, der Führerschein läge zu Hause im Auto (welches ich nicht besaß) gab man sich zufrieden... doch nun nahte Deutschland... ein Führerschein mußte her und das schnell.

Ich drehte mich zur Seite, alles war normal, meine Frau lag quer auf dem Bett, so daß mir meine üblichen 10 cm Liegefläche auf dem breiten Ehebett zur Verfügung standen, mehr brauchen eheerprobte Männer nicht. Die gemeinsame Decke hatte sie dreimal um den Körper gewickelt, einen Zipfel davon in einem geschulten Judo-Würgegriff fest mit beiden Händen umklammert. Ich lag da, nackt... alles, wie immer, nein... nicht alles wie immer... ich schwitzte, normalerweise fror ich. Das Thema Führerschein belastete mich doch sehr und ich rüttelte sie wach: “Angela... Angelikoula...” keine Reaktion ... “ANGELIKI!” Sie war schlagartig  wach, mit weit geöffneten Augen starrte sie mich entsetzt voller Panik an und stammelte nur...”ERDBEBEN!!??” “Nein, Liebes, heute Nacht einmal nicht, es ist etwas viel schlimmeres. Ich habe keinen Führerschein” Sie schlug drei Kreuze vor der Brust murmelte etwas wie “So viele Frauen gibt es, Mutter Gottes, warum ich? Warum hast Du mir diesen verrückten Deutschen gegeben”, drehte sich auf die andere Seite und schlief, nicht ohne sich vorher noch einmal der Festigkeit des Deckenwürgegriffs zu überzeugen, sofort wieder ein.

Es beruhigte mich sehr mit meiner damaligen Lebenspartnerin über das belastende Thema gesprochen zu haben und so tat ich am nächsten Morgen das, was jeder vernünftige, in Griechenland lebende Mensch tut, wenn er einen Führerschein machen muß. Lernen? Quatsch, welch absurder Gedanke...

...Ich forschte im Kreise meiner angeheirateten Familie, ob es da nicht jemanden, sei es einen Cousin 5. Grades, gab, der im Verkehrsministerium arbeitet. Leider hatten wir so eine Beziehung nicht in der Familie, das einzige, was meinem Schwiegervater einfiel, Gott habe ihn selig, war ein Cousin in Agrinio, der dort den Besitzer einer Fahrschule kannte. Dieser wiederum kannte einen Kollegen, der nicht weit von uns, in Athen die hohe Schule des Autofahrens an seine Schüler weitergab. Ein paar Tage später begab ich mich dorthin, nannte den Namen des Kollegen aus Agrinio, tatsächlich hatte dieser mich schon telefonisch angekündigt, Verpflichtungen hatten die Konten gewechselt.

... Ja, jemanden einen Gefallen zu tun, verpflichtet in Griechenland den anderen. Ein Zahlungsmittel, welches vererbbar ist und die Zahlungskraft und Stabilität des Euro bei weitem überschreitet...

... und das verschaffte mir Gehör beim Fahrlehrer. Ich war kein Fremder, ich war angekündigt und hatte ein gutes Gefühl, daß der fremde Mann auf der anderen Seite des kleinen Schreibtisches es sich auf die Fahne geschrieben hatte mich durch die Prüfung zu bekommen, was ihm wiederum in Agrinio einen Pluspunkt bringen würde, auf dem Verpflichtungskonto. Man weiß nie wozu das gut sein mag in der fernen Provinz Beziehungen zu haben.

Der Mitteleuropäer mag das nicht so recht verstehen, aber Beziehungen sind das A und O in Hellas. Und sei die Beziehung noch so schwach, alles ist besser als vollkommen ohne Vitamin B ein Vorhaben verwirklichen zu wollen, bei dem man auf die Gunst anderer angewiesen ist, wie in meinem Fall die der Fahrprüfer des Verkehrsministeriums.

Die Kleinigkeit, daß man ein Auto lenken kann und die Verkehrsregeln beherrscht spielt eine Rolle, aber sie ist nicht das Wesentliche. Zumindest nicht in Griechenland, jeder der sich mal durch den Athener Verkehr gekämpft hat und den etwas unorthodoxen Fahrstil der Griechen kennt, wird bestätigen können, daß unmöglich das Beherrschen der Verkehrsregeln der wahre Grund für das Bestehen der Führerscheinprüfung gewesen sein kann.

Wie gesagt, illegal fuhr ich schon seit Jahren Motorrad, auch das Fahren eines Autos war mir vertraut, hatte es mir meine Mutter doch schon im zarten Alter von 10 Jahren auf einem Feldweg beigebracht, während mein Stiefvater dem griechischen Nationalsport Nummer 1 nachging, wie jedes Jahr. Gekleidet wie ein amerikanischer Marine-Soldat, in voller Kampfmontur stand er im Gebüsch und ballerte mit seiner Schrotflinte alles vom attischen Himmel, was die Größe einer Libelle übertraf. Jagd nennen sie es dort, was hier in Deutschland eher mit dem Wort Flugabwehrübung beschrieben würde.

Fahrstunden waren zu dieser Zeit in Griechenland nicht nötig, dennoch entschied ich mich ein Stündchen zu nehmen um mich mit dem Auto, wie der Fahrlehrer das kleine verbeulte, schrottreife Vehikel japanischer Herkunft nannte, vertraut zu machen. Es funktionierte dennoch ganz gut, nach einer viertel Stunde hatte ich mich daran gewöhnt, daß das Fahrzeug im Normalbetrieb nach rechts zog um beim Bremsen ruckartig nach links zu wollen und einer Anmeldung zu Fahrprüfung stand nun nichts mehr im Wege...

... fast nichts. Diverse Papiere mußten besorgt werden, was in Griechenland immer eine Tortur ist, zumal es nirgends eine genaue Auskunft gibt, was man den eigentlich wirklich braucht. Das hängt von vielen nicht vorherzusagenden Umständen wie der Wetterlage, dem Sexualleben des zuständigen Beamten, der amtierenden Regierung oder was weiß ich ab, die wahren Gründe habe ich, obwohl ich von Kindesbeinen an in diesem Land lebte, nie so recht verstanden. Aber ich bekam alles zusammen und dann war er da... der Termin zu theoretischen Prüfung.

Damals lief das folgendermaßen ab. Am Kiosk konnte man den Fragebogen zur theoretischen Prüfung erwerben, genauer gesagt, 20 Fragebögen mit je 20 Fragen. Einer dieser Bögen war derjenige, den man dann am Tag der Prüfung vorgelegt bekam. Jede Frage war mit 3 Antworten versehen, von der nur eine richtig war. Zudem waren die beiden falschen Antworten so absurd, daß man schon rein instinktiv immer das richtige ankreuzte. Nach knapp einer Woche kannte ich die 400 in Frage kommenden richtigen Lösungen auswendig, konnte, wenn ich den Bogen anhand der ersten Frage erkannt hatte alle Antworten aus dem Gedächnis herunterleiern ohne die Fragen überhaupt zu lesen. Naja... nicht die Antworten im Wortlaut, aber die Buchstaben, welche die richtigen Antworten kennzeichneten. Und so war ich gewappnet für den Test, setzte mich auf mein Motorrad und fuhr, ohne gültige Fahrerlaubnis natürlich, nach Cholargos um an der Prüfung teilzunehmen. Viele Prüfungsteilnehmer hatten sich dort schon versammelt. Wie immer in Griechenland, wußte keiner so recht wo er wann hin mußte, und versuchte dieses Kenntnisdefizit durch besonderer Lautstärke auszugleichen. Natürlich ist jeder Grieche der wichtigste Mensch, quasi das Zentrum des Universums und somit gab es auch die üblichen Rangeleien, wer denn jetzt den Vorrang habe.  Irgendwie landete auch ich dann in dem kleinen Raum, der an Schule erinnerte, bekam einen Bogen vorgelegt. An der ersten Frage erkannte ich Nr. 17 aus der am Kiosk erworbenen Sammlung, holte die geistige Schablone aus meinem Gedächnis, kreuzte die Antworten innerhalb 30 Sekunden an und...

bestand die Theoretische Prüfung. Das lag weniger an meinem Wissen über Verkehrsregeln, sondern mehr an meiner Gabe eine Reihenfolge von Buchstaben, welche die Antworten des Fragebogens kennzeichneten, zu verinnerlichen. Wie alles auswendig gelernte, vergaß ich das belastende Wissen zehn Minuten nach der Prüfung wieder, gut so, weil ein Mißachten der Regeln im Athener Verkehr eine wichtige Voraussetzung zum Überleben ist.

Und so kam er, der Tag der Fahrprüfung. Es war Frühling mittlerweile, und schon Morgens traf ich mich mit Herrn Jannis, so hieß mein Fahrlehrer, den ich bisher nur einmal gesehen hatte, mit dem mich aber die gewaltige Kraft der Beziehung im fernen Agrinio verband. Wir waren viel zu früh am Übungsplatz in Colargos und so hatte ich etwas Zeit, ähnlich der Formel 1 Piloten, noch ein paar Starts zu üben auf dem glatten Athener Asphalt, was bei der mittlerweile verschlissenen Kupplung und den aus dem Rennsport bekannten slikähnlichen Reifen des kleinen Japaners dringend nötig war. Ansonsten war alles im Auto vertraut, - Normalbetrieb nach rechts, Bremsen nach links. Zufrieden ließ mich mein Fahrlehrer das Auto am Strassenrand parken und sprach folgende weisen Worte zu mir:

“Hör zu, und höre gut, mein Sohn” sagte er und legte seine Hand auf meinen rechten Oberschenkel. “Gleich kommen die Prüferinnen, ich habe schon gesehen welche es sind, ich kenne sie. Es werden zwei Prüferinnen ins Auto steigen, eine Maßnahme die man kürzlich ergriffen hat, weil es Gerüchte gab einzelne Beamte seinen leicht zu bestechen. Das ist ein Problem, es macht alles teurer, hol sie der Teufel.” Er murmelt noch ein paar - ich drücke es gewählt aus - abwertende Worte über die amtierende Regierung, Worte, die Heilige der Orthodoxie und diverse Sexualpraktiken beinhalten, nur wer Griechisch beherrscht hat wahre Freude am Fluchen. Dann fuhr er fort  “Du bestehst heute deine Prüfung. Es kann sein daß Du durchfällst, aber das tut nichts zur Sache. Wenn sie dich durchfallen lassen, kommst Du morgen zur Fahrschule und wir regeln das. Verstanden?” Dabei zwinkert er verschwörerisch mit dem linken Auge.” “Ja, ich habe verstanden” lüge ich, frage aber nicht weiter, weil zwei fürchterlich dicke, nach Parfüm und Knoblauch-Schweiß riechende Damen sich auf den Rücksitz des viel zu kleinen Fahrschulautos zwängen.

“Fahr gerade aus” befahl mir eine der beiden um sich sofort danach mit Ihrer Kollegin über das bevorstehende Wochenende zu unterhalten. Selbstbewußt fuhr ich 100 Meter, hielt an einer im 90° Winkel kreuzenden Einbahnstraße. Ich schaute nach rechts, schaute nach links, alles frei, fuhr weiter. Die korpulente Prüferin unterbrach ihre Wochenendplanung mit den Worten “Fahr rechts ran, durchgefallen” Wie bitte? Ich traute meinen Ohren nicht, drehte mich um und fragte nach dem Grund.

 “Das war eine Einbahnstraße. Du hast in beide Richtungen geschaut, ob ein Auto kommt, aber eine Einbahnstraße darf bekanntlich nur in eine Richtung befahren werden, also hättest Du nur nach rechts schauen sollen, von links hätte, logischerweise, keiner kommen können.” Ich gebe zu bedenken, daß ja jemand, illegalerweise natürlich, auch verkehrt herum aus einer Einbahnstraße hätte kommen können, und daß ich, einfach so zur Sicherheit in beide Richtungen geschaut hätte.

Jetzt kam mir auch mein Fahrlehrer zur Hilfe, beteuerte, daß dieses Argument nicht ganz von der Hand zu weisen sei, er beschwörte – wieder einmal müssen diverse Heilige der Orthodoxie hinhalten – das ihm so etwas auch schon widerfahren sei. Eine hitzige Diskussion zwischen Prüferinnen und Fahrlehrer begann. Herr Janis argumentiert noch, daß ich schließlich Deutscher sei, und man kenne die Deutschen ja, sie prüfen alles zehn mal, bevor sie sich entscheiden, ein ängstliches Volk, daß mit den Griechen nicht zu vergleichen sei.” Das Wetter war schön, das Wochenende nahte, ein Umstand der meine Prüferinnen wahrscheinlich milde stimmte und so durfte ich meine Fahrt fortsetzten. Ich fuhr wieder an, nach ca. 50 Metern sah ich eine Parklücke in die man bequem einen 40-Tonner hätte stellen können und prompt kam der knappe Befehl von hinten “Einparken, Rückwärts” Ich setzte den Blinker, hielt vor der Parklücke, schaute mich um, legte den Rückwärtsgang ein und begann den kleinen Japaner mit seiner schweren Last langsam in die Lücke zu fahren. Bedingt durch die korpulenten Damen, welche die Sicht nach hinten versperrten eine nicht ganz einfache Aufgabe. Dennoch ich machte das gut, fast dreiviertel des Wagens waren schon in der Lücke. “Das reicht” hörte ich von hinten “wir fahren zurück, bestanden.”

Und so hatte ich ihn, meinen begehrten Klasse 3 Führerschein. Nicht wirklich, nicht zum Anfassen, dazu waren noch Behördengänge vonnöten, aber ich hatte meine Fahrprüfung bestanden. Die unfallfreie Bewältigung einer Distanz von fast 200 Metern und dreiviertel eines Einparkmanövers berechtigen mich nunmehr einen 300 PS starken Italienischen Rassesportwagen über die Strassen donnern zu lassen, eine reine Illuision natürlich, wenn man griechische Gehälter kennt.


(c) Ralf Nicolaus. Veröffentlichung an anderer Stelle nur mit Genehmigung des Autors


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