Gästebuch

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Das Amt

Im Juli 2000 begann alles mit dem Tod meiner Mutter in Athen. Ich erfuhr, daß sie eine Lebensversicherung bei der Interamerican abgeschlossen hatte, ein Umstand durch den ich nun an einen für meine Verhältnisse nicht unbeträchtlichen Geldsegen gelangen sollte. So machte ich mich mit dem örtlichen Versicherungsvertreter auf in die Stadt um bei oben genannter Gesellschaft die mir zustehende Finanzspritze in Empfang zu nehmen. Schon auf dem Weg beruhigte mich Herr Michalis, so hieß der gute Mann, ich nannte Ihn beim Vornamen wie es in Griechenland üblich ist, daß die Interamerican ein sehr modernes, innovatives, nach Europäischen Maßstäben fungierendes Unternehmen sei und die Auszahlung der Versicherungssumme lediglich ein paar Minuten in Anspruch nehmen würde. Sie nennen es immer gerne europäisch, meine Griechen, wenn sie von etwas funktionierendem, unbürokratischem sprechen. Noch schockiert vom Tod meiner Mutter nahm ich seine Worte nicht so recht wahr und stapfte recht willenlos, nach der einstündigen Parkplatzsuche hinter Herrn Michalis her in das prunkvolle Hauptgebäude der Versicherungsgesellschaft.

Die freundliche Dame hinter dem in schwarzem Marmor verkleideten Empfang, informierte uns, daß die Lebensversicherungen im Nachbargebäude, eine Straße weiter verwaltet werden und daß wir uns dort bitte an Frau Angeliki wenden sollten.

Ich war in meiner eigenen Welt und der schwarze Marmor erinnerte mich an das Jahr in dem ich nicht weit von hier, bei Moschus im Marmorwerk gearbeitet hatte. Ich habe diesen Job gehaßt. Die eh schon große Hitze unter dem Elenit-Dach, wurde durch die Reibung der diamantbeschichteten wassergekühlten riesigen Sägeblätter auf dem harten Marmor noch verstärkt. Es waren keine schönen Tage, dort in dieser Hölle, aber zu der Zeit hatte ich keine Wahl. Seitdem habe ich eine Abneigung gegen Marmor, ganz gleich in welcher prachtvollen  Farbe und Maserung er sich mir zeigt, ob weißer vom Pendeli, grauer aus Kavala, braun-gemaserter Karnaseiko aus der Nähe von Epidaurus, grüner oder schwarzer, ob in kleinen polierten Kacheln oder in großen Platten, immer wenn ich Marmor sehe muß ich an die 50-Tonnen Blöcke denken, die Nachtschichten, die Hitze, das mit Staub versetzte Kühlwasser, welches sich in jede Pore der Haut festsetzte, die Verletzungen die ich mir in diesem Job zugezogen hatte.

Weiter stapfte ich, gedankenverloren hinter Herrn Michalis her, entlang der Kifissias Avenue in das Nachbargebäude, auch in Marmor verkleidet, - diesmal weiß, vom Pendeli denke ich mir, ziemlich weich - in die zweite Etage. Ein hektisches Großraumbüro, voller Akten und Privatgespräche führender junger Damen. Frau Angeliki, eine gutaussehende, sehr gepflegte junge Frau, so Mitte dreissig kannte den Vorgang – offensichtlich bestehen nicht allzuviele Verträge mit Ausländern- und zauberte unter einem Berg identisch aussehender Akten die meiner Mutter hervor. “Ja” sagte Sie “das ist kein Problem...” Moment, da wurde ich stutzig. Für einen Moment war ich hellwach..., das Marmorwerk löste sich in Luft auf...  es gibt kein Problem? Ich erinnerte mich, daß ich mich doch in Athen befand. Es gibt keinen Behörden- oder ähnlichen Gang in diesem Land, der problemlos vonstatten geht. “Das ist gar kein Problem...” wiederholte die gute Frau, “Es gibt kein Problem...” sagte diese griechische Göttin mit Ihrem gelockten wunderschönem schwarzem Haar. Und wie adrett, geschmackvoll sie gekleidet war, ein Frau zum Verlieben. Ich hätte sie umarmen können.

Und sie sprach weiter... “es ist kein Problem, geben sie mir die amtliche Todesurkunde, eine Geburtsurkunde der Verstorbenen, einen Erbschein, eine Geburtsurkunde des Begünstigten, alles in griechischer Sprache, vom Konsulat beglaubigte Übersetzungen natürlich, dann bekommen Sie von mir eine Bescheinigung. Mit dieser Bescheinigung gehen sie zum Finanzamt, zahlen die erforderliche Steuer und das Finanzamt stellt Ihnen eine weitere Bescheinigung aus. Damit kommen sie wieder zu mir und erhalten innerhalb weniger Tage einen Scheck” so, in einem Satz sprach diese häßliche, unhöfliche Ziege, mit Ihrer äußerst schlampigen Kleidung und, sehe ich richtig? Ja mit dem fettigem Haar, welches schon zu ergrauen begann, mein Urteil aus, das mich auf eine Odyssee schickte, deren Ausmaße ich zu diesem Zeitpunkt nicht im geringsten erahnte. Nur eines wurde mir sofort klar, in diesem Urlaub würde ich diesen Scheck nicht erhalten. Frau Angeliki widmete sich dem ablätternden roten Lack Ihrer Fingernägel und signalisierte damit, daß das Gespräch hiermit beendet sei.

Etwas frustriert machte ich mich auf den Weg, versuchte die letzten Tage meines Urlaubs zu genießen, was mir nicht sonderlich gut gelingen wollte, Anbetracht der schwarzen Wolke, dem Tod meiner Mutter, von dem ich erst vor einer Woche erfahren hatte, einer Wolke, die ständig über mir schwebte.

Da es in dieser Geschichte um meine Erlebnisse auf dem griechischen Amt und um meine Stadt Athen geht, kürze ich die Vorgänge in Deutschland ab. Eine Geburtsurkunde meiner Mutter hatte einer meiner Tanten noch in Ihren Akten, Erbschein und alles weitere waren verhältnismäßig schnell ausgestellt. Die Übersetzung des ganzen Werkes kostete mich ein kleines Vermögen, doch auch das lief recht unbürokratisch ab, so daß ich innerhalb von einem Monat alles benötigte beisammen hatte. Es sollte aber Dezember 2001 werden, bis die Umstände eine weitere Griechenlandreise zuließen.

Ich quartierte mich im Sommerhaus meiner Schwester, ca. 30 Kilometer vom Zentrum Athens am Meer gelegen ein am 17. Dezember 2001, und nach freudiger Begrüßung und Planung für Silvester machte ich mich gleich am nächsten Morgen auf den Weg in die Stadt. Ich hatte ja alle benötigten Papiere dabei und war mir sicher, daß der ganze Vorgang innerhalb eines, maximal zwei Tagen zum Abschluß gebracht werden konnte. Für die 30 Kilometer ins Zentrum benötigte ich gerade mal drei Stunden mit dem Auto, Anbetracht der nahenden Feiertage und der panikartigen Einkaufswut, die auch vor meinen geliebten Athenern nicht halt macht in diesen Tagen, fast ein Rekord. Auch ein Parkplatz in .

unmittelbarer Nähe der Versicherungsgesellschaft, nur ca. 50 Blocks weiter, in einem anderen Stadtteil war den Umständen entsprechend in einer weiteren Stunde schnell gefunden, der Fußmarsch vom Auto zum Ziel war bei dem herrlichen, fast sommerlichen Wetter sehr angenehm. Und so begegneten wir uns wieder, Frau Angeliki und ich, mittlerweile war sie keine Hexe, aber auch keine Göttin mehr, erstaunlich wie die der eigene Gemütszustand einen Menschen einmal so und einmal anders erscheinen läßt. Tatsächlich fehlte nichts in den mitgeführten Papieren, alles war ausreichend, die Übersetzungen wurden akzeptiert und innerhalb weniger Minuten hatte ich die begehrte Bescheinigung über die auszuzahlende Versicherungssumme.Mein Unterbewußtsein registrierte den mitleidigen Blick, als Frau Angeliki mir sagte “So und damit brauchst Du nur zum Finanzamt zu gehen und eine Bescheinigung über eine Schenkung ausstellen zu lassen” Mein Unterbewußtsein registrierte wie gesagt das Mittleid, aber mein Verstand überhörte diese Alarmglocken.

Auch meine Frage, welches Finanzamt denn zuständig sei wurde von Ihr schnell geklärt. Ein Anruf bei den Anwälten der Versicherung und ich wußte mit 100% Sicherheit, wie Frau Angeliki mir versicherte, daß die  Finanzbehörde im Zentrum, Nähe Omonia , für meinen Fall zuständig war. “In der Likourgou Straße” fügte sie noch eifrig hinzu “ganz sicher, glaube ich, vielleicht. Ach ja, und noch etwas... Ich brauche die Bescheinigung bis Freitag, weil danach stellen wir auf Euro um hier und können bis Ende Februar keine Zahlungen mehr leisten” “Zwei Monate lang stellt Ihr auf Euro um?” frage ich verständnislos. ”So ist es” sagt sie ”Ich kann es nicht ändern, ihr wolltet den Euro doch”. Dabei hebt sie die Schultern, hält beide Handflächen nach oben, neigt den Kopf etwas zur Seite und schaut aus den Augenwinkeln unschuldig an eine Stelle an der Decke.

Für einen Moment war ich geneigt mich für die unverschämte Einführung des Euros bei Ihr zu entschuldigen, der Währung ich mit aller Gewalt eingeführt hatte, aber die aufkommende Panik, daß ich nur noch wenige Tage zur Verfügung hatte, wenn ich diesen Vorgang noch in diesem Jahrzehnt endlich abschließen wollte ließen mich von dem absurden Vorhaben Abstand nehmen. Ein Blick auf meine Armbanduhr machte mir bewußt, daß es keinen Sinn hatte den nächsten Behördengang noch heute in Angriff zu nehmen, Ich war in Maroussi, zehn Kilometer vom Omonia entfernt, vergleichbar mit einer Reise zur Antarktis wie mir jeder zustimmen wird, der den Athener Verkehr kurz vor Weihnachten kennt. Außerdem verschließen die Finanzämter pünktlich um 13:30 dem eifrigen Steuerzahler unbarmherzig Ihre Pforten.

Wir hatten einen schönen Abend im Kreise meiner Familie, die mir in Deutschland lebend, sehr fehlt immer. Natürlich sprach ich die Ereignisse des Tages an und auch die noch vor mir liegenden Dinge, die es da zu erledigen galt. Sophie, meine Stiefmutter, eine erfahrene griechische Behördengangspezialisten, unterbreitete mir sofort die anzuwendende Strategie, die ich besser verfolgen würde um das Ziel zu erreichen. “Du mußt einen Weg finden, daß sie Mitleid mit Dir haben, nur so geht das”. Auch meine Schwerster gab Ihre Einschätzung zum besten... “Oli Malakes ine stin Eforia” (Es sind alles Wichser beim Finanzamt). Mir wurde schnell klar, daß weder die eine, noch die andere Erkenntnis mir von großer Hilfe sein würde und somit entschloß ich mich die Dinge auf mich zukommen zu lassen und mich im richtigen Moment auf meine weibliche Intuition im Manne zu verlassen.

Ein neuer Tag, ein herrliches Wetter und ungeahnte Energie in mir waren bestimmt Auslöser eines scharfsinnigen, konstruktiven Gedankens. “Ralf, Du mußt ins Zentrum, zum Omonia, also fährst Du bis zur “Amina” (dem griechischen Pentagon) und nimmst die dort endende U-Bahn-Linie zum Zentrum”. Gut gelaunt machte ich mich auf den Weg, erreichte das angestrebte Teilziel in weniger als 2 Stunden. Das riesige Park&Rail Schild gab mir Hoffnung und so bog ich ab um mein Auto abzustellen. Natürlich war der Parkplatz so überfüllt, daß ich am Ende Probleme hatte mein Auto wieder auf die Straße zu lenken. Man stelle sich ein Kölner Parkhaus vor, welches mit dreimal mehr Fahrzeugen gefüllt wird, als die eigentliche Kapazität zuläßt um den in Athen herrschenden Zustand zu visualisieren. Ein systematisches langsames Abfahren aller engen Seitenstraßen machte mir meine guten fahrerischen Qualitäten auf engstem Raume bewußt, half mir aber nicht den begehrten Parkplatz zu finden. Also entschied ich mich für den Wahnsinn, mit dem Auto zum Omonia Platz zu fahren.

 Auf dem Weg sah ich noch ein Kuriosum, wie es einem nur in Athen begegnet. Ein geschäftstüchtiger älterer Herr hatte kurzerhand die Mauer seines Vorgartens abgerissen und vermietete den ehemals gepflegten Rasen vor seinem Haus als Parkplatz. Ein von Hand geschriebenes Schild mit schiefen Buchstaben “PARKIN” wies darauf hin und die 6 Autos auf dem Rasen zeigten, daß es sich um eine geniale Geschäftsidee handelte. Mir half das alles nichts, auch hier keine freie Fläche für mein Auto, also fuhr ich mit einer rasanten Geschwindigkeit von ca. 10 Metern pro Stunde in die Stadt.

Der Verkehr drängte mich vom Ziel etwas ab und ich landete am Fuße der Akropolis, in der Plaka, wo ich doch tatsächlich eine Parklücke fand. Zwar im Halteverbot, doch ich vertraute zu Recht auf die Trägheit der örtlichen Polizisten, die niemals den beschwerlichen Weg hierhin finden würde. Mit der Bahn fuhr ich vom Monastiraki die eine Station zum Omonia, wo ich die Katakomben der U-Bahn verließ um inmitten einer Demonstration der Athener Müllmänner, umzingelt von MAT (Kasernierte Polizei) wieder ans Tageslicht zu gelangen. Kurz fühlte ich mich in die Zeit der Obristen versetzt, merkte aber schnell, das alles hier ganz friedlich ablief, kein Verhör auf einer Wache drohte, wie ich ihn als Heranwachsender hinter mir hatte und machte mich auf den Weg zur naheliegenden Likourgou Straße.

Das Finanzamt in der Likourgou ist ein jämmerlicher, trostloser, unfreundlicher Bau, voller Menschen die von hier nach da eilen, ohne so recht zu wissen wohin, die Beschilderung an den Türen ist nicht sehr hilfreich. Und so machte ich mich, mit den ganzen anderen Kopflosen auf die Suche nach der Stelle, die Schenkungs- und andere Urkunden in Erbsachen ausstellt. Ich fragte hier, und dort und nach einigen fehlgeleiteten Irrzügen durch alle 7 Etagen des Gebäudes landete ich am eigentlichen Ziel, einem kleinen Büro ohne Fenster in der zweiten Etage. Mit mir auch viele andere, ich stellte mich hinten an, machte meinen Körper so groß und breit wie möglich um weitere Hereindrängende nicht an mir vorbei zu lassen. Nach geduldigem Warten stand ich vor dem Schreibtisch eines sehr grimmig ausschauenden Beamten, mit offenem Hemd, behaarter Brust und einem riesigem goldenen Kreuz im Wald seiner Brustbehaarung.

Er schaut mich grimmig an, sagt lediglich “Esi?” (Du?) und macht diese im griechischen typische Bewegung, eine kurze Drehung mit der Hand, die ihm das mühsame Aussprechen der Frage, was ich denn wolle, erspart. Brav leier ich mein Anliegen in perfektem griechisch herunter, immer bedacht die hinter mir hereindrängenden Massen davon abzuhalten mir meinen lebenswichtigen Standplatz vor dem Schreibtisch strittig zu machen. ... “Ich brauche eine Schenkungsurkunde, für eine Lebensversicherung, möchte darauf hinweisen, daß ich, der Begünstigte, Ausländer bin, die Verstorbene auch, wobei ich im Ausland wohnhaft bin, während die Verstorbene in Athen wohnte”. Ich denke mir, nun alle für ihn wichtigen Informationen weitergegeben zu haben und tatsächlich, er dreht sich um, greift in einen riesigen Stapel identischer leerer Formulare hinter sich, drückt mir drei davon in die Hand und spricht:

“Ausfüllen, dreifach, damit zum für die Verstorbene zuständige Finanzamt Ihres Wohnortes, dort, wo sie Ihre Steuererklärung abgegeben hat”.  “Sie hat nie eine abgegeben” gebe ich zu bedenken. “Meine Mutter hat in Griechenland nie gearbeitet, hatte kein Einkommen sondern war Hausfrau” “Ja” antwortet er gereizt. “Ausfüllen, dreifach, damit zum für die Verstorbene zuständige Finanzamt Ihres Wohnortes, dort, wo sie Ihre Steuererklärung abgegeben hat”

Verzweiflung steigt in mir auf. Er versteht mich nicht, oder er ist gar kein Mensch... er hat ein Endlosband in sich ablaufen... welch absurder Gedanke. “Wo ist das Finanzamt bei dem jemand eine Steuererklärung abgibt, die er nie abgegeben hat, weil er einfach keine abgeben mußte?” versuche ich es noch einmal, etwas gereizt... doch er läßt sich nicht beirren, versucht mir aber freundlicherweise mit folgendem Hinweis weiterzuhelfen: “Ausfüllen, dreifach, damit zum für die Verstorbene zuständige Finanzamt Ihres Wohnortes, dort, wo sie Ihre Steuererklärung abgegeben hat”.

Ich gebe auf, piepse aber noch mit letzter Kraft ein “Meine Mutter hat in Melissia gewohnt” “Gut, Gut”, antwortet er. “Ausfüllen, dreifach, damit zum für die Verstorbene zuständige Finanzamt Ihres Wohnortes, dort, wo sie Ihre Steuererklärung abgegeben hat, Melissia, Melissia, Melissia”, wo bei er das letzte Melissia fast schreit.

Meine Hände sind nicht mehr unter Kontrolle, die Finger bilden einen Würgegriff und schnellen in Richtung des behaarten Halses des Beamten, aber für einen Moment passe ich nicht auf, schon haben mich die nachdrängenden Massen von meinem günstigen Standpunkt verdrängt, aus den Augenwinkeln sehe ich noch den in die Ferne rückenden Beamten, der sich der wichtigen Aufgabe widmet mit dem überlangem Fingernagel seines kleinen Fingers das Ohr zu reinigen und verstehe das ich an dieser Stelle nicht weiterkommen werde. Ein Blick auf meine Armbanduhr zeigt mir, daß es wenig Sinn hat diesen Behördengang.... Antarktis.... Athener Verkehr... und somit fahre ich mit meinen drei Formularen wieder ins Sommerhaus zurück. Die letzten Absätze sind schnell gelesen, doch sie beschreiben eine Zeitspanne, die mit An- und Abfahrt, ca. 7 Stunden gedauert hat, wie der geneigte Leser sich vielleicht vorstellen kann. Meine Schwester nahm mich mit den aufbauenden, hilfreichen Worten  : ... “Oli Malakes ine stin Eforia” in Empfang und bei einem schönen Abend in der örtlichen Taverne sammelte ich neue Kraft für den nächsten Tag...

... der mich nach Melissia führte. Ich fuhr die Straßen ab, auf der Suche nach dem Finanzamt, welches nicht existent zu sein schien. Ich hielt an einem Kiosk und erfuhr vom Besitzer, daß Melissia kein eigenes Finanzamt habe, aber daß im Nahe gelegenen Maroussi sehr wohl eins sei, er wisse aber nicht genau wo, weil er sich solche Behördengänge nicht antue. “Ich schicke immer die Frau dahin, wenn es etwas zu erledigen gibt.” (Er meint seine Ehefrau, Griechen reden oft von “die Frau”, wenn sie Ihre Gattin meinen.) Fehler denke ich mir, jetzt rächt sich der Fehler, damals die Scheidung eingereicht zu haben. Wo ist nun die Frau, die ich schicken könnte. Meine Gedanken schweiften zurück in die Zeit in der ich glückliche Tage mit meiner kleinen Angela in diesem Land verbracht hatte. Du mußt sie mal anrufen, denke ich mir noch, sitze aber schon im Auto und krieche im Verkehr nach Maroussi.

Ich frage mich durch und finde das Finanzamt, welches doch sage und schreibe keine 5 Minuten Fußweg vom Hauptgebäude der Interamerican ist, dem Anfang meiner Odyssee., Frau Angeliki fällt mir ein... “Likourgou, Omonia, ganz sicher, glaube ich, vielleicht.” Parkplatzsuche... 50 Blocks... und so weiter und ich stehe am Eingang des verhältnismäßig kleinen Gebäudes. Im unteren großen Saal eine ellenlange Schlange an einem Schalter... aber hier brauche ich nicht hin. Ich frage mich durch, lande diesmal in der 3. Etage. Es sind nur ca. 50 Menschen vor mir dran und es ist gerade mal 9:30, also besteht Hoffnung denke ich mir.

Das Wissen, daß ich meine Bescheinigung heute noch brauche, wegen er Euro-Umstellung, läßt ungeahntes Durchsetzungsvermögen in mir wach werden. Ich erinnere mich an Gersfeld, wo mir auf einem Lehrgang für Projektleiter beigebracht wurde, daß im Umgang mit Generalunternehmern ein Stückweit Bereitschaft da sein muß seine kriminelle Energie einzusetzen um sich behaupten zu können. Ich weiß zwar in diesem Moment nicht, was mir das nützen soll, lege den Gedanken aber nicht zu weit weg.

Zwischen Publikum und Beamten ist eine Art 1,50 Meter hoher Tresen aufgebaut, mit einer kleinen Schwingtür in der Mitte, ähnlich der, wie man sie aus den Saloons in den Western kennt. Diese Absperrung trennt den Mob der Antragsteller von den fieberhaft arbeitenden Staatsdienern. Hinter dieser Abgrenzung links und rechts je drei Schreibtische mit genervten Beamtinnen und Beamten. Ein weiterer Schreibtisch, unbesetzt, es ist der einzige, der über einen Bildschirm verfügt. Am Kopfende ein weiterer, etwas größerer Tisch mit einer Blumenvase. Dort sitzt ein Herr mit schwarzem Anzug und das Schild über seinem Kopf weist ihn als “Proistamenos Ipiresias” aus (Amtsleiter): Meine anfängliche Hoffnung, daß die sechs Beamten den Andrang schnell abarbeiten würden platzt wie eine Seifenblase, als ich registriere, daß nur eine von ihnen für Schenkungsurkunden zuständig ist. Das Publikum drängt immer näher an den Tresen und es herrscht eine Art Panik in diesem Raum, eine große Unruhe. Das Volk drängt immer näher an den Tresen, schiebt sich teilweise durch die Schwingtür, schimpft, ist ungehalten. Es herrscht eine Lautstärke, die den Kölner Hauptbahnhof wie einen verlassenen Friedhof erscheinen läßt. In Angst um seine Untergebenen greift der Amtsleiter ein. Wer an Deutsche Amtstuben denkt, wo man im Gang wartet bis man hereingerufen wird hat hier ein falsches Bild vor Augen.  Mit einer Schere schneidet der weise Mann sorgfältig kleine Zettelchen zurecht und versieht sie mit Buchstaben und Nummern. D1-x... für Schenkungen (Dorea), K1-x für Erbe (Klironomia) und so weiter. Mit diesen Zetteln bewaffnet wagt er sich unter das gereizte Publikum, erfragt wer für was hier sei und unternimmt den verzweifelten Versuch uns in irgendeine Ordnung zu bringen. Und es gelingt diesem Helden tatsächlich, lebend aus der Meute wieder rauszukommen, mit dem Ergebnis, daß nun jeder eine Nummer hat und somit die Reihenfolge geklärt ist, denke ich mir zumindest. Erschöpft zieht er sich hinter seinen Schreibtisch zurück und versinkt in eine Art meditative Unbeweglichkeit.

Ich bin nun stolzer Besitzer des D6 Zettels und vor mir ist D1 gerade in Arbeit. Beruhigt rauche ich im Gang eine Zigarette, störe mich nicht am Nichtraucher Schild, so wie die anderen Rauchenden es auch nicht tun. Ich gehe noch eine Runde um den Block um etwas frische Luft zu schnappen und kehre nach ca. 40 Minuten wieder zurück. Alles ist noch beim Alten, nichts hat sich verändert, die Dame mit der D1 ist noch nicht abgefertigt und ich gerate bei einem Blick auf meine Uhr .... IN PANIK!!! 40 Minuten für D1... 40 für D2... und ich rechne hoch und erkenne das D6 so gegen 20:00 Abends an der Reihe sein müßte... Oh Gott, 13:30 machen die zu denke ich mir, der Euro... vorbei... das war’s. Im nächsten Urlaub vielleicht. D1 ist aber erstaunlicherweise doch irgendwann erledigt, D2 in gerade mal 10 Minuten abgefertigt und ich habe wieder etwas Hoffnung.

Etwas Schadenfroh über seine hohe Nummer lasse ich mich von der D15 in ein Gespräch verwickeln, höre mir sein Leid an, daß er jetzt schon seit einer Woche von Amt zu Amt unterwegs ist und seinen Laden solange schließen mußte. Ich überlege, in Kenntnis der schleppenden Bearbeitung hier ob ich ihn darauf hinweisen soll, daß nach meinen Berechnungen die D15, rein hypothetisch gegen 3:00 Nachts an der Reihe ist, aber ein Blick in seine verzweifelten Augen sagt mir, daß ich nicht das Recht habe diesem Menschen seine Hoffnung zu nehmen. Auch die Idee, ob es nicht sinnvoller wäre sein Geschäft zu verkaufen, da er, wenn er es nicht bald wieder öffne doch im Konkurs enden würde teile ich ihm nicht mit, wohlwissend, daß auch für den Verkauf eines Ladens mit Sicherheit Behördengänge von Nöten sind und ihn das nicht weiterbringen würde.

Jetzt mischt sich auch D8 in das Gespräch ein und versucht mich nach einem neidvollen Blick auf meine Nummer zu überzeugen, daß mit Sicherheit ein Dokument fehlt und ob ich es nicht besser erst noch besorgen wolle. Ich durchschaue den arglistigen Trick, sie will offensichtlich, daß ich den Mut verliere, hofft vielleicht, daß ich ihr meine Nummer abtrete, oder zumindest, daß sie durch meine Aufgabe um einen Platz nach vorne rückt. Als sie merkt, daß ich mich nicht beirren lasse beginnt auch sie mir Ihr Leid zu klagen, die Kinder kämen aus der Schule und würden nun, bei der Kälte draußen (18 °C) auf die Mutter warten müssen, da sie keinen Schlüssel haben und die Oma gestern mit schweren Herzproblemen in Krankenhaus gebracht werden mußte, dort würde ihr Mann am Krankenbett verweilen, ich wisse ja bestimmt, wie das in staatlichen Krankenhäusern abläuft. Sie bekreuzigt sich dreimal, stösst ein “Woitha Panagia” (Mutter Gottes hilf) aus und wirkt verzweifelt.

Und so lerne ich sie alle kennen, mittlerweile sprechen wir alle durcheinander, die D4, D8, D17. Ich lerne alle Geschichten kennen, die Gründe aus denen sie hier sind, Ihre Leidensgeschichten, aber so ist das immer auf den griechischen Ämtern. Auch sie wissen jetzt über mich Bescheid, Griechen sind sehr wissensdurstig, und in Deutschland undenkbare Fragen über mein Einkommen, meine Familiären Zustände, meine politische Gesinnung werden mir gestellt. D12 wundert sich, daß ich im Alter von fast 40 noch keine Kinder gezeugt habe und schüttelt verständnislos den Kopf. Die Kinder sind der Sinn des Lebens, die Kinder sagt sie noch und wendet sich ab.

Ich präge mir genau das Gesicht der D5 ein, damit ich meinen Auftritt als direkter Nachfolger in der Reihe bei der zuständigen Sachbearbeiterin nicht verpasse und beobachte das nun beginnende Wortgefecht zwischen dem Publikum und den Beamten. “Wie zahlen Eure Gehälter und Ihr quält uns hier” ruft einer in Richtung Blumenvase. Einer der Beamten schmeißt den Kuli, Billigmarke Bic, an die Wand und schreit erbost zurück “Das sagst Du nicht noch einmal, das sagst Du nicht noch einmal”. “Das ist kein Staat” ruft ein anderer aus dem Publikum, “Aber ihr seid es Schuld, Ihr die PASOK gewählt habt.” “ Ja” kontert ein anderer “Wir haben ja alle gesehen, wie es bei Euch Neodimokrates abgelaufen ist”. (NEA DIMOKRATIA / Neodimokrates . Anhänger einer der Opositionsparteien) Ein ewig gestriger gibt noch sein “Wir wollen die Junta wieder, nur während der Junta (Militärdiktatur in den Endsechzigern) hattet Ihr die Hosen voll und habt Eure Arbeit (vernünftig) gemacht)”. Damit meint er wohl die Beamten und jetzt erwacht auch der Amtsleiter aus seiner Meditation.... Er erhebt sich langsam und brüllt, lauter als der Pöbel “Wenn ihr nicht alle sofort ruhig seid, dann gebe ich Anweisung die Bleistifte (er sagt wirklich Molivia, Bleistifte) niederzulegen und dann steht ihr in drei Wochen noch hier. Scheisse denke ich mir... bitte nicht. Offensichtlich denken auch andere so und so langsam kehrt Ruhe ein. Unterdrückte Wut, wie ich bei vielen sehe, aber sie werden äußerlich ruhig.

Mittlerweile kommt D5 raus... ich drängle mich vor, den Zettel hoch erhoben und immer wieder sagend, Delta 6, entschuldigt bitte, ich bin an der Reihe... Delta 6. Ich quetsche mich durch die Saloon Tür, vorbei an allen anderen, die mich davon abhalten wollen, zur zuständigen Beamtin und dort sitzt.... träume ich das alles? Ein Omachen vor dem Schreibtisch. Erziehung, Anstand, alles schießt mir durch den Kopf, doch auch der Gedanke... Du mußt das heute erledigen... und ich lege alles ab, was meine Eltern mir mühsam als Anstand eingedeut haben. “Gute Frau, welche Nummer haben sie?” Frage ich die Oma. “Ich habe keine Nummer, ich war gestern schon hier” antwortet sie. Ich bleibe ruhig und erkläre ihr, daß wir hier Nummern haben und eine Reihenfolge und das soeben die D5 raus ist und somit die D6 dran ist. Demonstrativ knalle ich dabei mein Zettel auf den Tisch. “Mein Sohn ich weiß, ich weiß” sagt sie mir “Aber ich bin alt und mein Herz...” es folgt eine lange Beschreibung der Krankheiten, die die arme Frau heimgesucht haben... Meine Stiefmutter fällt mir wieder ein... “ Du musst erreichen, daß sie Mitleid haben....” Ich sehe meine Felle schwimmen und werde hart. “Omachen” sage ich (Eine ältere Dame iaiaka (Omachen) zu nennen, ist nicht abwertend im Griechischen) “Ich verstehe Deine Not, doch für Krankheiten geh zu einem Arzt. Hier ist das Finanzamt. Zornig frage ich die Beamtin “Wofür gebt Ihr Nummern aus, wenn ihr sie selber nicht einhaltet, sind wir hier in der Türkei?” Das hat gesessen. Natürlich würde die Beamtin sich nie eine Türkin nennen lassen und schickt die Oma davon. Allerdings nimmt sie eine sehr abwehrende Haltung mir gegenüber ein, verständlicherweise und ich merke, daß ich jetzt schlechte Karten habe.

Ich lege meine Papiere auf den Tisch, erkläre, was ich brauche. Sie blättert alles durch, schaut aber gar nicht hin... und sagt. “Geht nicht. Ich brauche all diese Papiere im Original... Du mußt alles hier lassen..., außerdem fehlen da noch Papiere.” Ich komme nicht weiter merkte ich. Das mit der Türkei war zuviel, die läßt mich jetzt abblitzen. Ich will schon aufbrausen, erinnere mich aber an meinen Tschaolin-Kung-Fu Schnupper Kurs, wo ich vier Stunden mit dem Trainer immer wieder die gleiche Übung machte. “Ich greife an... Du gehst einen Schritt zurück” Ich greife an... und so weiter. Ich werde plötzlich ruhig, merke, daß ein verbaler Angriff in dieser Situation nichts bringen wird. Und da ist sie meine weibliche Intuition im Mann, die Idee. Ich schaue sie mit warmen, verständnisvollem Blick an. Sie ist sichtlich irritiert, vorbereitet auf verbale Attacken, nicht aber auf diesen Blick und ich spüre, daß ich auf der richtigen Schiene bin. “Ich bewundere Sie” höre ich mich da reden. “Ich bewundere Sie wie es schaffen unter diesen Umständen, unter diesen aggressiven Angriffen des Publikums, bei diesem Krach so eine verantwortungsvolle Arbeit zu machen, die äußerste Konzentration erfordert. Also ich könnte das niemals.”

Für einen Moment noch scheint sie irritiert, dann wird ihr Blick warm und sie sagt “ Ach ja, wir tun was wir können... wir sind noch so weit von Europa. Sie schaut auf meinen Ausweis... “Ach ja bei Euch in Deutschland, Ihr seid uns Jahre voraus” Schnapp, denke ich mir.... Ralf das war’s, Du hast gewonnen. Sie widmet sich jetzt ernsthaft meinen Unterlagen, blättert alles durch, liest es sogar... ja sagt sie alles ok, aber sie wohnen im Ausland, (Sie siezt mich auf einmal... sie respektiert mich?) was machen wir jetzt, sie können doch hier nicht einfach Steuern zahlen? Oh mein Gott denke ich, was nun? Ich befürchte schon wieder, sie könne meinen Vorgang als nicht bearbeitbar wieder weglegen.

“Vielleicht könnten wir ja den Herrn Amtsleiter fragen, vielleicht weiß er ja, wie das zu handhaben ist?” frage ich bewußt demütig.  “Ja das könnte ich tun, sagt sie, aber er ist sehr beschäftigt.” Instinktiv drehe ich mich um und bemerke, daß seine Heiligkeit immer noch in dieser meditativen Unbeweglichkeit verharrt. Nein, er bewegt sich und schiebt mit äußerster Konzentration eine Akte von der linken Seite des Schreibtisches auf die Rechte, neben die Vase, wo er sie sorgfältig absolut parallel zur Schreibtischkante ausrichtet. Ich schaue meiner Sachbearbeiterin in die Augen und sie erhebt sich tatsächlich und fragt seine Hoheit. Dieser geht kurz in sich, murmelt Ihr ein paar Worte zu, die ich aus dieser Entfernung nicht verstehe. Sie kommt zurück, lächelnd. “Ja, also damit sie die Urkunde bekommen müssen sie vorab die Steuern zahlen also brauchen Sie und Ihrer Mutter eine A FI MI”. “Ein was brauche ich?” “Ein A FI MI, einen Artihmos Forologikou Mitroou” sagt sie und mir wird bewußt, daß es sich um eine Steuernummer handelt. “Ja aber meine Mutter ist letztes Jahr verstorben” werfe ich ein. “Kein Problem, sie können mit der Todesurkunde nachträglich ein A FI MI beantragen.” Eine Steuernummer für eine Tote, Makaber denke ich mir, doch ich hätte auch dem Teufel eine Steuernummer besorgt, Hauptsache hier erfolgreich durch. “Gehen sie in die zweite Etage, beantragen die A FI MI und kommen sie mit den Nummern hierhin zurück, sie brauchen dann nicht mehr anzustehen, ich lasse Sie durch und sie bekommen Ihre Urkunde” Ich schaue auf meine Uhr, 12:30. “Aber das schaffe ich nie” sage ich “Sie schliessen in einer Stunde” “Wir schliessen für das Publikum, aber Ihren Vorgang machen wir noch fertig. Wir sind ja schliesslich bis 16:00 hier” Ich muß mich zurückhalten um diese Frau nicht zu umarmen und sie aus einem Gefühl der unbeschreiblichen Erleichterung heraus zu Boden zu reissen.

Ich gehe in die zweiter Etage, erblicke eine riesiges Schild mit dem Buchstaben A FI MI. Überall liegen Anträge herum, ich ergatter zwei und trage ehrlich und nach bestem Wissen und Gewissen, wie ich mit meiner Unterschrift bestätige die geforderten Daten in die dafür vorgesehenen Felder ein. Nun stelle ich mich in die Schlange... gerade mal lächerliche 20 Menschen vor mir und komme nach kurzer Zeit an die Reihe. Die Dame hinter dem Schalter nimmt sich die Anträge, die Todesurkunde und innerhalb 3 Minuten ist meine verstorbene Mutter steuerlich geführt in Griechenland. Ich bin begeistert, man braucht nur zu sterben in diesem Land und bekommt jede Bescheinigung vollkommen unbürokratisch, offensichtlich. Ich schaue mich in Erwartung meiner eigenen Steuernummer im Raum um. “Entschuldigen Sie” klingt es vom Schalter” Ich drehe mich um... “Sie wohnen im Ausland”. “Ja, sicherlich” sage ich und lächle. “In Deutschland”. “Dann müssen Sie mit Ihrem Antrag in das für Ausländer zuständige Finanzamt am Omonia Platz in der Likourgou Straße.” “In der Likou...”stottere ich? Ich fühle mich schwach, habe das Gefühl mich übergeben zu müssen... “Aber...da komme ich doch her...vor zwei Tagen...” “Tut mir wirklich leid, wenn Sie im Ausland wohnen müssen Sie in die Likourgou”. “Und wenn ich nicht... ich meine wenn ich hier leben würde?” “Dann könnte ich ihnen eine Steuernummer ausstellen.” Likourgou denke ich, Antarktis, Athener Verkehr..., unerreichbar weit weg. Vor meinem geistigen Auge erscheint der Lektor aus Gersfeld... kriminelle Energie walten lassen... und die Dame am Schalter hat einen Zaunpfahl in der Hand mit dem sie mir zuwinkt. “Es ist eine Erklärung, die sie da ausfüllen und sie bestätigen mit Ihrer Unterschrift die Wahrheit Ihrer Angaben, ich kann das nicht prüfen”. Ich fülle einen neuen Antrag aus, setzte die Adresse meiner Schwester ein, lasse das Feld für “Im Ausland Wohnhaft” weiß, unterschreibe und schiebe ihr den Zettel über den Tresen. Ich lächle sie an: “Ich wohne in Griechenland, ich wohne hier”.

Sie nimmt sich das Papier... Keratea liest sie vor. “Ja, wenn sie in Keratea leben dann müssen sie in das zuständige Finanzamt nach Lavrio”. (Lavrio liegt 70 km von Athen entfernt). Ich breche zusammen, nein ich möchte zusammenbrechen, aber ich mache hier nicht schlapp. Meine Stiefmutter fällt mir wieder ein... “Sie müssen Mitleid mit Dir haben... nur so... “ Alles Quatsch, ich bin kein Opfer, aber mir fällt nichts besseres mehr ein. “Können sie denn gar nichts tun?” frage ich sie “gar nichts?”. “Nun ich könnte in Lavrio eine Steuernummer für sie freischalten, über den Computer” Sie spricht das Wort Computer mit großen angstvollen Augen aus, so wie meine kleine Schwester als Kind die Worte Drachen und Monster ausgesprochen hatte. Ich spüre, daß ich in dieser Sekunde etwas tun muß... Sie ist kurz davor sich der Gefahr Computer zu stellen, braucht einen kleinen Ruck nur noch, sie zögert noch. “Bitte” stammle ich, “bitte. Meine Arme Mutter wurde letzes Jahr begraben und von dem Geld der Lebensversicherung wollte ich endlich einen anständigen Grabstein um den Erdhaufen bauen lassen unter dem Sie heute noch liegt. Bitte, tun sie etwas. Ich muß übermorgen nach Deutschland zurück. Bitte helfen Sie mir, der armen Seele meiner Mutter zuliebe, bitte” Mutter, Seele der Verstorbenen... die Worte gehen unter die Haut, ich bin froh hier aufgewachsen zu sein, die Mentalität fast angenommen zu haben. Grabstein... ja, das nimmt Ihr die letzte Scheu vor dem Monster mit den Tasten, das Erbe der stolzen, furchtlosen, griechischen Freiheitskämpferin von 1821 erwacht in Ihr, sie setzt sich vor den Bildschirm und kämpft sich mühsam durch das Programm. Nach ca. 20 Minuten ist das Werk vollbracht, ich besitze eine eigene Steuernummer in Griechenland..., in Lavrio zwar, ich weiß noch nicht mal genau, wo das ist, aber das spielt keine Rolle.

Mit den Nummern bewaffnet renne ich wie ein Irrer in die Dritte um sie der Schenunkgsurkundendame zu überreichen. “Ah sehr gut” Jetzt muß ich nur noch im Computer überprüfen, ob Ihre Stuernummern auch geführt sind” Ich werde irre... ich habe diese Nummern doch eben erst... egal. Sie sitzt schon vor dem Bildschirm, dem einzigen in diesem Raum. Ich schicke ein Stossgebet los... “Bitte liebes Netzwerk, bitte funktioniere und zeig Ihr die Nummern” Das Netzwerk erhört mein Gebet, sie lächelt und kehrt zurück. “Alles in Ordnung, jetzt zahlen Sie unten im Ersten an der Kasse 77.000 DRX und bringen mir die Quittung. Sie müssen sich beeilen, die Kasse schließt um 13:30. Ich schaue auf die Uhr... noch zehn Minuten. Wie vom Teufel gejagt renne ich die Stufen (Marmor, grau, Kavalla) nach unten, renne die frustriert abziehende D17 fast um, erreiche die Kasse... nur drei Menschen vor mir... Ich schaffe es... ich schaffe es... ich zähle mein Geld... es reicht, ich habe genau 80.000 dabei. Ich zahle und erhalte meine Quittung mit der ich wieder in die dritte renne. Ich erhalte meine Unterschrift und drei Stempel auf der Urkunde und bin erlöst. Ich habe es geschafft. Vier Stunden nur in diesem Finanzamt, ich habe es geschafft. Auf dem Weg nach draußen begegne ich D15, der Arme Kerl muß wieder kommen. Er tut mir leid, nein tut er mir nicht wirklich... ich bin so voller Freude diesen Kram hinter mir zu haben, daß ich die ganze Welt umarmen könnte.

Die restlichen Formalitäten bei der Verischerungsgesellschaft waren tatsächlich schnell geklärt, ich bekam meinen Scheck am nächsten Tag (3 Stunden Anfahrt, Parkplatzsuche, 50 Blocks... etc.) und konnte ihn sofort zur Bank bringen (1 Stunde Fahrt, Parkplatzsuche, 23 Blocks, 40 Menschen in der Schlange vor mir). Dort begegnete man mir mit den üblichen Worten “Es gibt ein Problem”, doch als ich die Kassiererin davon überzeugt hatte, daß man als EG Mitglied nun wirklich keinen Reisepass mehr bräuchte und der Personalausweis ausreichend sei durfte ich mein Geld, nach kurzer Rücksprache beim Bankdirektor, endlich auf mein Konto einzahlen.


(c) Ralf Nicolaus. Veröffentlichung an anderer Stelle nur mit Genehmigung des Autors


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